Indien gilt für viele Experten als das weltweit gefährlichste Land für Frauen und Mädchen. Täglich werden sie Opfer von Gewalt, darunter Entführungen, sexueller Missbrauch und Mord.
Basierend auf Daten des National Crime Records Bureau (NCRB) aus dem Jahr 2021 und früheren Berichten ergeben sich erschütternde Zahlen: Im Jahr 2021 wurden im Durchschnitt täglich etwa 29 Frauen Opfer von Mord oder Tötung, und 77 Frauen oder Mädchen wurden entführt. Viele dieser Entführungen stehen im Zusammenhang mit Zwangsheiraten oder Menschenhandel. Alle 15 Minuten wird in Indien eine Frau vergewaltigt. Diese Zahlen beziehen sich nur auf offiziell registrierte Fälle; die Dunkelziffer ist wahrscheinlich weitaus höher, da viele Verbrechen nicht gemeldet werden.
Die Häufigkeit dieser Taten ist schon erschreckend genug, doch die Brutalität, mit der Täter ihre Opfer überfallen, verstümmeln und zum Schweigen bringen, ist kaum in Worte zu fassen.
„Wir haben in Indien eine patriarchalische Gesellschaft, die den Männern mehr Bedeutung beimisst. Frauen werden in der Regel als Bürger zweiter Klasse betrachtet“, betont Dr. Shruti Kapoor, eine feministische Aktivistin. „Kinder verinnerlichen dies schon in sehr jungen Jahren. Die Wünsche und Meinungen eines Mädchens werden nicht als so wichtig angesehen wie die eines Jungen. Das Mädchen lernt von Anfang an, sich unterzuordnen“, erklärt Kapoor weiter.
Obwohl das Kastensystem in Indien offiziell 1950 abgeschafft wurde und gesetzlich keine Kastendiskriminierung geduldet wird, sieht die Realität anders aus. Die hierarchische Einordnung und Abgrenzung sozialer Gruppen ist nach wie vor stark ausgeprägt. Diese soziale Einteilung betrifft insbesondere Status, Heirat und Arbeitsteilung und verstärkt die Unterdrückung von Frauen und Mädchen.
Besonders betroffen von dieser Gewalt und Diskriminierung sind Frauen aus der Dalit-Gemeinschaft, der untersten Kaste Indiens. Sie sind systematischer Unterdrückung und Angriffen ausgesetzt, häufig durch Männer der „oberen Kasten“. Für diese Männer ist die Vergewaltigung einer Dalit-Frau nicht nur Ausdruck ihres Kastenprivilegs, sondern auch ein Mittel, ihre Macht über die Unberührbaren zur Schau zu stellen. „Die Männer der oberen Kaste glauben, dass sie einem Dalit-Mädchen alles antun können und damit ungestraft davonkommen“, berichtet der Dalit-Rechtsaktivist Vijay Kumar.
Die geografische und soziale Isolation der Dalit-Gemeinschaften verstärkt ihre Verwundbarkeit gegenüber Gewalt und Diskriminierung. Ihre Dörfer sind oft von Siedlungen der höheren Kasten umgeben, was eine Situation schafft, in der die Familien der Opfer leicht bedroht und eingeschüchtert werden können. Dadurch werden viele Taten nie zur Anzeige gebracht. Gewalt gegen Dalits bleibt häufig ungesühnt, weil sie in den von der oberen Kaste dominierten Medien nicht ausreichend thematisiert wird und somit im Verborgenen bleibt. Es kommt immer wieder vor, dass Dalit-Dörfer niedergebrannt werden, die Polizei die Obduktion von vergewaltigten Frauen verweigert oder lokale Behörden Fälle unterdrücken, die von Dalits eingereicht wurden. Diese systematische Ignoranz gegenüber dem Leid der Dalits zeigt, wie tief verwurzelt das Kastensystem und die Diskriminierung in der indischen Gesellschaft noch immer sind.
Nach jüngsten Schätzungen leben in Indien 229 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Während die Armutsraten seit den 1990er Jahren zwar gesunken sind, bleibt der Großteil der Betroffenen in ländlichen Gebieten, wo geringe landwirtschaftliche Produktivität und begrenzter Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen vorherrschen. Besonders Frauen und Mädchen sind hier oft am stärksten von der Armut betroffen, da ihre gesellschaftliche Stellung sie zusätzlich benachteiligt.
Diese doppelte Benachteiligung durch Armut und geschlechtsspezifische Diskriminierung bedeutet, dass die Geburt eines Sohnes gefeiert wird, während die Geburt einer Tochter oft als finanzielle Bürde empfunden wird, weil Eltern die hohen Kosten der Mitgift fürchten. Diese kulturellen Normen tragen dazu bei, dass Mädchen von Beginn ihres Lebens an als weniger wertvoll angesehen werden.
Experten sind sich einig, dass noch viel getan werden muss, damit sich Frauen und Mädchen in Indien sicher fühlen können. „Vergewaltigungskulturen werden durch Normen, Einstellungen und Praktiken genährt, die Gewalt gegen Frauen bagatellisieren, tolerieren oder sogar gutheißen“, erklärt die indische Menschenrechtsaktivistin Ranjana Kumari. Sie ist überzeugt, dass die einzige Möglichkeit, diese Verbrechen zu verhindern, darin besteht, die Gesellschaft, insbesondere Männer, über Gewalt, Geschlechterstereotypen und die negativen Auswirkungen des Patriarchats aufzuklären.
Unsere Projekte in Indien setzen auf Aufklärung und Bildung als wirksamste Mittel, um geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung zu bekämpfen. Die Aktionsgruppe ‚Kinder in Not‘ e.V. fördert gezielt Bildungsangebote, die Jungen und Mädchen gleichermaßen erreichen und sie für die Themen Gleichstellung und Gewaltprävention sensibilisieren. Nur durch diese umfassende Bildungsarbeit können wir langfristig eine Kultur des Respekts und der Gleichberechtigung etablieren.
Unterstützen Sie unsere Bildungs- und Aufklärungsprojekte in Indien und machen Sie einen Unterschied.
Bleiben Sie immer auf dem Laufenden: Registrieren Sie sich jetzt für unseren kostenlosen, vierteljährlichen Newsletter. Widerruf jederzeit möglich. Bitte beachten Sie unsere Datenschutzerklärung.
Aktionsgruppe Kinder in Not e.V.
Wirtgen Campus 1
53577 Neustadt (Wied)
Fon 02683 - 9466-280
Fax 02683 - 9466-299
Sparkasse Neuwied
IBAN: DE87 5745 0120 0012 0227 52 / BIC: MALADE51NWD
Raiffeisenbank Neustadt e.G.
IBAN: DE69 5706 9238 0000 0527 24 / BIC: GENODED1ASN
© Aktionsgruppe Kinder in Not e.V.